V. Langbehn (Hrsg): German Colonialism, Visual Culture and Modern Memory

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Title
German Colonialism, Visual Culture, and Modern Memory.


Editor(s)
Langbehn, Volker
Series
Routledge Studies in Modern European History 13
Published
New York 2010: Routledge
Extent
328 S.
Price
£ 70.00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Ulrike Schaper, Freie Universität Berlin

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ – Diese Redewendung verweist auf die Vieldeutigkeit von Bildaussagen, die Suggestivkraft visueller Darstellungen sowie die Bedeutung von Visualisierungen für die Legitimation von Wissen. Diesem Diktum würden wohl auch die Autor/innen des vorliegenden Sammelbandes zustimmen, die sich in ihren Analysen der Formation von Bildern, visuellen Wahrnehmungen und einer visuellen Kultur nähern, die die Sichtweise von und die Reaktionen auf das ethnisierte Andere prägten. Der Herausgeber führt in seiner Einleitung gleichsam die wissenschaftstheoretische Implikation der Redewendung aus, wenn er auf die Beweis- und Organisationsfunktion des Visuellen für die europäische Wissenskultur verweist sowie Gründe für das nur zögerliche Aufgreifen visueller Kultur und ihrer Mechanismen als Analysegegenstand in der Geschichte, Anthropologie und Philosophie auslotet. Daneben führt er in die Visualität und visuelle Kultur der deutschen Kolonialzeit ein. Die Beiträge zeichnen dann die Konstruktionsmechanismen und Verbreitungsweisen entsprechender komplexer Bildwelten nach und zeigen, wie diese Teil hatten an der Schaffung, Verbreitung und Konturierung von Exotisierungen, Rassifizierungen und der Konstruktion des Anderen. Damit tragen sie zum Verständnis deutscher kolonialer Kultur und deren Fortwirken bis in die Gegenwart bei.

So zeigt Joachim Zeller anhand von Sammelkarten, wie diese das Stereotyp einer idyllischen, vorindustriellen Welt darstellten, den Kolonialismus idealisierten und legitimierten und zum „marketing of the Other“ (S. 78) beitrugen. Auch der Beitrag von Thomas Schwarz demonstriert anhand von Romanen und deren Titelbilder aus den Jahren 1906–1913, wie diese um das Thema „Rassenmischung“ kreisten und dabei Bilder weiblicher „widerwärtiger“, ebenso wie erotischer Andersheit konstruierten. Das Widerstehen erotischer Versuchungen wurde folglich zur Grundbedingung kolonialer Herrschaft stilisiert.

Als eine wichtige Frage im Zusammenhang der Konstruktion des Anderen beleuchtet der Band die Bedeutung visueller Kultur für die rassistische Klassifikation. Besonderen Stellenwert nahm dafür die Physiognomie als Bindeglied zwischen beiden ein. Als Lehre, die begründet, warum das Innere in den körperlichen Gegebenheiten sichtbar wird, lieferte sie ein Set an rassifizierten Körpermerkmalen, die in der Darstellung Anderer aufgegriffen wurden. Insofern sieht Volker Langbehn aufgrund seiner Analyse politischer Karikaturen in diesen eine wichtige Quelle der Formation von „Mythen“ und rassifizierten Stereotypen über Indigene der Kolonien. Trotz ihres kolonialkritischen Impetus griffen die Karikaturen stereotype physiognomische Merkmale zur rassischen Markierung auf und verbreiteten so rassistische Hierarchien und Wissensfiguren.

Leider gehen nicht alle Beiträge des Bandes gleichermaßen auf die Spezifik des jeweiligen untersuchten Mediums sowie seine Produktions- und Rezeptionsbedingungen ein. Anregend sind in dieser Hinsicht zum Beispiel die Beiträge von David Ciarlo und Wolfgang Struck. Ciarlos Text zu Werbegrafiken reflektiert explizit die spezifische, nämlich aufmerksamkeitsfördernde Funktion der Werbebilder und deren Bedeutung für die Bildgestaltung. Die Darstellungen spielten auf koloniale Ereignisse an und reproduzierten Stereotype und Hierarchien über die kolonisierte Bevölkerung. Vor allem „schwarze“ Figuren dienten dazu, das Produkt optisch aufzuwerten. Durch die rassische Markierung sollte die Figur gleichzeitig vom Betrachter distanziert werden, damit sich dieser durch die optische Funktion der Figur nicht abgewertet fühlte. Mit den spezifischen Produktions- und Wirkungsweisen von aktuellen Fernsehproduktionen und deren Making-Ofs, die Kolonialgeschichte(n) nachstellen, beschäftigt sich Struck. Er zeigt, dass die Filmemacher es versäumen, über den Entstehungskontext und die Überlieferungmodi der von ihnen in den Film eingebauten Dokumente und Re-enactments zu reflektieren. Sie behandeln die von ihnen hergestellten Bilder, als könnten diesen einen authentischen (visuellen) Eindruck der Vergangenheit liefern, konstruieren aber eine „Cover-Memory“ (S. 268), die über einen „Originallook“ vergangene Realität stabilisieren soll und so Fantasien der Gegenwart zu denen der Vergangenheit hinzufügt. Die Kolonien, inklusive der als Requisiten behandelten Afrikaner/innen, dienen lediglich als Bühne für die Handlungen, Sehnsüchte und Ängste von Europäer/innen.

Mitunter hätte man sich bei all den Beispielen für visuelles Othering eine genauere Reflexion über das Verhältnis exotisierender, kolonialer und rassistischer Darstellungen zueinander gewünscht. Dies differenziert vor allem der Beitrag von Christian Rogowski zu Kolonialspielfilmen der Weimarer Republik. Er arbeitet heraus, dass die Filme zwar rassistische und exotisierende Stereotype über den Anderen sowie erotische Fantasien und Ängste transportierten. Er konnte aber nur einen Film finden, der die koloniale Frage direkt adressierte. In den anderen Fällen erhielten die Filme erst vor dem Hintergrund einer bestehenden pro-kolonialen Bewegung in Deutschland eine koloniale Qualität.

Eine Stärke des Bandes ist, dass die Beiträge sich nicht auf die abwertende Aspekte visueller Kultur beschränken, sondern auch kritische und subversive Potentiale aufzeigen. So analysiert z.B. Astrid Kusser, den Tanz „Cakewalk“ als Ausdruck von Aneignungen, Konflikten, Austausch und Vereinnahmungen in einer transnationalen Verflechtungsgeschichte zwischen Europa, den Amerikas und verschiedenen Kolonien in Afrika. Sie zeigt, dass der Cakewalk neben einem rassistischen Lachen über die vermeintlich ungelenke Nachahmung „weißer“ Tanzgesten durch Schwarze ein selbstreflexives Lachen über die destabilisierenden Kräfte der Moderne und die Annahme fixer Identitäten enthielt. Zudem ermöglichte der Cakewalk Schwarzen die Partizipation an populärer Kultur sowie Momente der Kommunikation zwischen „schwarzen“ und „weißen“ Tänzer/innen. Auch Brett van Hoesen zeigt auf, wie in der Weimarer Republik Künstler/innen mit Collagen koloniale Politik und (post)koloniale Debatten kritisch kommentierten.

In gewisser Weise ein alternatives Bild zur Andersheit der Kolonie entwarfen auch zwei Dokumentarfilme aus der Kolonialzeit, wie Wolfgang Fuhrmann in seinem Beitrag ausführt. Trotz der Stereotypisierung der kolonialen Bevölkerung betonten sie eher die Ähnlichkeiten zwischen dem Leben in Kolonie und Heimat und präsentierten die Kolonien als Verlängerung der Metropole. Die Filme suggerierten einen Einblick in das „reale koloniale Leben“, zugleich stilisierten sie den Kolonialismus als harmonisches Nebeneinander und banden selbst Gewalt und Krieg in dieses Narrativ ein.

Als weiteren zentralen Aspekt thematisiert der Band die Bedeutung des Visuellen für die koloniale Eroberung. Felix Axster zeigt Verbindungen von Eroberung und Postwesen auf. Nach Axster dokumentierten die Postkarten eines Soldaten aus Deutsch-Südwestafrika die Eroberung, normalisierten den Krieg und trugen diesen in die private Sphäre in der Metropole. Die Ideologie des Siedlerkolonialismus spürt Itohan Osayimwese in Bauhandbüchern auf. Sie waren als Teil der Propaganda der Kolonialbewegung für die Kolonie ebenso wichtig wie für die Metropole. Oliver Simons kann in einer Gegenüberstellung von Kartographie und dem Roman „Volk ohne Raum“ (1926) aufzeigen, wie stark dem Roman kartographische Verfahren zugrundelagen, die Raum abstrahieren und sich von Raumerfahrung distanzieren. Der Roman, der die Notwendigkeit von Raum in Form von Kolonien propagierte, vermittelte aber ein konträres Raumverständnis, das sich durch Urbarmachung und Erschließung von Raum als Substanz und die Transformation von Raum in „Boden“ auszeichnete.

Die Kapitelzuordnung der Beiträge orientiert sich an der Dauer des deutschen Kolonialbesitzes und gruppiert die Beiträge in ein Kapitel von 1884–1919 und ein Kapitel von 1919 bis heute. Es verwundert kaum, dass das zweite Kapitel sehr viel weniger kohärent ist, da es mehrere historische Kontexte und politische Systeme umfasst. Die in ihm versammelten Analysen reichen von Beiträgen zur Weimarer Republik über kultur- und bildgeschichtlichen Kontextualisierung der in der NS-Propaganda prominenten Figur des „schwarzen Juden“ (Birgit Haehnel) bis hin zur Analyse von Installationen und kulturellen Interventionen des politischen Aktionsbündnisses Kanak Attak (Deniz Götürk), die Fragen der Migration, Integration und Zugehörigkeit thematisieren.

Nicht ganz glücklich ist diese Aufteilung insofern, als mehrere der Beiträge die zeitliche Grenze sprengen: Sie bieten Ausblicke auf die Entwicklung nach dem Kolonialismus, verorten die von ihnen untersuchten späteren Darstellungen im historischen Kontext der deutschen Kolonialzeit oder untersuchen Material, dessen Entstehungszeitraum quer zur Zäsur von 1919 liegt. Die Einleitung begründet diese Aufteilung damit, dass so die „shifting moments of visual alterity“ (S. 21) deutlich werden. Leider versäumt es der Herausgeber hier, die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen in der visuellen Kultur mit Blick auf die Beiträge systematisch zu bearbeiten. Mitunter hätte sich diese Fragen fruchtbarer stellen lassen, wenn die Beiträge nicht nach der Chronologie sondern nach Medien oder thematischen Schwerpunkten systematisiert, die jeweiligen Beiträge stärker aufeinander bezogen und die unterschiedlichen Medien im Hinblick auf die von ihnen transportierten und geschaffenen Bildwelten verglichen und verknüpft worden wären.

Ein wenig überrascht, dass ein Buch über visuelle Kultur selbst optisch so wenig ansprechend gestaltet ist. Das beginnt bei dem für die Reihe typischen schlichten Einband und setzt sich in den zahlreichen, allerdings lediglich schwarz-weiß wiedergegebenen Abbildungen fort. Anders als Einband und Abbildungen ist das versammelte Spektrum von Analysen durchaus bunt. Der Band adressiert viele wichtige Aspekte einer visuellen Geschichte des deutschen Kolonialismus und seiner Nachwirkungen in die postkoloniale Zeit. Er ist vor allem lesenswert wegen der versammelten detailreichen Analysen des jeweiligen Materials und deren spezifischen Ergebnissen. Aus diesen ergeben sich aber insgesamt kaum überraschende Schlussfolgerungen zur Darstellung des kolonialen Anderen oder zur Visualisierung kolonialer Stereotype.

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13.01.2012
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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